Jakob Grimm, einer der Märchenschreiber, der
im 19. Jh. Auch das erste deutsche Grammatikbuch verfasst hat, war begeistert: „Die ungarische Sprache ist logisch, vollkommen, ihr Aufbau übertrifft jede andere.“
Ähnlich der Wiener Sprachforscher N. Ebersberg ebenfalls im 19. Jh.: „Die Struktur des Ungarischen erscheint mir so, als sei sie von einer Versammlung von Linguisten entwickelt
worden, damit die Sprache alles Wichtige enthalte – Regelhaftigkeit, Dichte, Klarheit und Harmonie.“
George Bernhard Shaw sagte bei einem Interview mit dem US-Sender CBS: „Nach dem ich das Ungarische Jahre lang studiert habe, bin ich überzeugt, dass mein Lebenswerk wesentlich
wertvoller geworden wäre, wenn ich sie als Muttersprache hätte. Denn mit dieser seltsamen, vor uralten Kräften strotzende Sprache kann man viel genauer die winzigen Unterschiede
und geheimen Regungen der Empfindungen beschreiben.“
Andererseits hätte der große Romancier auch weniger Leser gehabt, denn diese seltsame Sprache verstehen nur wenige Menschen auf der Welt (P.M.).
Grover S. Kranz, US-amerikanischer Sprachforscher: „Unter allen, bis heute gesprochenen, Sprachen ist Ungarisch die Älteste."
Tatsächlich ergeben Sanskrittexte, Wort für Wort in der Originalsatzstellung ins Ungarische übersetzt, genau den ursprünglichen Sinn (P.M.). Ole Berglund, schwedischer Arzt und
Übersetzer: „Heute, da ich von der Sprachstruktur einiges verstehe, wage ich die Behauptung, die ungarische Sprache stellt die höchste Leistung menschlicher Logik dar.“
(Quelle: Transsilvania, 40. Jg. 2. Ausg.)
Wie jede Sprache, ist auch die ungarische ein lebendiges Wesen, Ausdruck des kollektiven Unterbewussten des Volkes. Eine Zeugin, die über Fühlen,
Denken, Geschichte, Entwicklung und Geheimnisse berichtet. Allerdings - kaum einer hört hin.
Sie denkt, wie jedes vernunftbegabte Wesen. Sie hat ihre Abneigungen, Wünsche und Prioritäten: Ungarisch liebt Wortreichtum. Wie besessen kreiert sie für alles und jedes ein Wort,
das nur diese eine Sache, Tätigkeit etc. bedeutet. Es gibt etwa dreieinhalb Mal so viele ungarische Wörter wie deutsche. Deutsch arbeitet meist mit zusammengesetzten Wörtern,
zusammengesetzten Begriffen. Einige Beispiele: Der ältere Bruder heißt auf Ungarisch bátya, der jüngere Bruder öccs, die ältere Schwester novér, die jüngere húg, Schwiegersohn vo,
Schwiegertochter meny, Schwiegervater após, der Schwager sógor (sprich: Schogor) - wobei man die Herkunft, vom deutschen Schwager, leicht erkennt.
Die Ungarn leben auf einer Sprachinsel in einem indogermanischen Meer. Neben Deutsch und Rumänisch gehören bekanntlich auch alle slawischen Sprachen, so auch Slowakisch und
Ukrainisch, über die Großmutter Sanskrit zur indogermanischen Großfamilie. Die nächsten Sprachverwandten der Ungarn sind die Finnen, die Esten und die Samen. Die allernächsten
sind wohl die Finnen. Und dass die Verwandtschaft über Sprachaufbau und einige zweifellos verwandte alte Wörter wie kéz auf Ungarisch, kesi auf Finnisch für „die Hand“,
hinausgeht, zeigt eine Anekdote, die in beiden Sprachen erzählt wird - nur eben ein wenig anders. Es geht um das jeweilige Finden der neuen Heimat, in denen die Völker nun schon
seit Jahrtausenden getrennt leben.
Die Finnen berichten: Sie kamen zusammen mit den Ungarn aus dem Osten, vom Ural her, mit Pferden, Wagen, Kind und Kegel. Endlich kamen sie an hohe Berge (die Karpaten), wo sie
eine Tafel mit der Aufschrift fanden: „Geradeaus nach Ungarn“. Und alle, die lesen konnten und nicht zu faul waren, erkletterten die Berge und kamen nach Ungarn. Die anderen bogen
nach rechts (nach Norden) ab und landeten in Finnland.
In der ungarischen Variante der Anekdote steht an der Tafel am Fuß der Berge: „Rechts nach Finnland“, und die Ungarn erzählen sich, dass die Klügeren, die lesen konnten, auf diese
Weise auf die skandinavische Halbinsel gekommen sind.
Ein klares Zeugnis der seelischen Verwandtschaft zweiter charmant-höflicher Völker - die nie eine gemeinsame Grenze hatten, um die es hätte Streit geben können.
Vielleicht erklärt die Sprach-Einsamkeit den enormen Drang nach Ausdrucksreichtum. Ungarisch will alles sagen, was die anderen, von vielen Menschen gesprochenen Sprachen auch
ausdrücken können - und noch mehr. Wie ein Schwamm saugt sie Wörter auf, integriert sie und verwirft sie auch schon mal. Doch wenn ihr ein Inhalt besonders wichtig ist, kreiert
sie kein neues, hübsches Wort, sondern sagt es mit einem bekannten Begriff, damit es klar wird, was sie meint. So verwendet sie für „Gesundheit“ das Wort „Ganzheit“ - egészség.
Denn das ist im besten Sinn ganzheitlich gesund.
Doch sie ist nicht nur weise, genau, überlegt, Ungarisch ist auch charmant: Die Ungarinnen tragen an ihren Brüsten keine Warzen, sondern Knospen. Andererseits ist sie auch Männern
gegenüber großzügig: Sie mutet ihnen gar Wunder zu. So heißen „Eltern“ auf Ungarisch szülok, was wörtlich „Gebärende“ bedeutet - das Wort beinhaltet eben auch die Väter.
In der Grammatik geht sie sparsam mit persönlichen Fürwörtern um. Nicht wie Deutsch „Ich sage...“, „ich gehe“, sondern zurückhaltend, wie Italienisch: dico, vado, ungarisch:
„mondom“, „megyek“. Denn die Konjugation des Verbs verrät ja klar, wer da spricht oder geht. In der Satzkonstruktion ist sie ungeduldig. Sie sagt zuerst, was Sache ist. Nicht:
„Ich habe Hunger“, sondern: „Hungrig bin ich“ - „éhes vagyok“. Die Lieblingsanekdote von ausländischen Germanisten beginnt denn auch mit der Frage, weshalb das deutsches Publikum
so geduldig bis zum Schluss jedem Vortrag zuhört. Und sie endet mit der Antwort: Weil, egal wer wann worüber spricht, das Wichtigste von dem, was er sagen will - eben zum Schluss
kommt.
Die Grammatik ist schlicht, geradeaus. So gibt es keine Geschlechter, was eine gewisse Logik hat. Warum ist ein Tisch männlich und eine Lampe weiblich?
Um etwas Vergangenes auszudrücken, hat man eine einzige Möglichkeit - die aber jeder Ungar beherrscht. Es gibt eine Vergangenheitsform. Man stolpert nicht zwischen Perfekt,
Imperfekt und Plusquamperfekt. Vergangen ist vergangen. Und wenn etwas vor etwas anderem Vergangen ist, ergibt sich das aus dem Zusammenhang. Es gibt kein Konjunktiv. Man kann auf
Ungarisch nicht sagen, „er sagte, er habe etwas gegessen“, das ja besagt, das er vielleicht lügt, jedenfalls ist es nicht die Meinung dessen, der das berichtet. Auf Ungarisch kann
man entweder gegessen haben oder nicht, es gibt nichts dazwischen.
Es gibt auch keine Schwierigkeiten mit den Wörtern „dasselbe“ und „das gleiche“, die hierzulande als Synonyme gebraucht werden - selbst von Schriftstellern. Die Magyaren haben
zwei so verschiedene Ausdrücke für sie, dass sie sich nicht verirren können.
So herrscht im Ungarischen eine strenge grammatikalische Ordnung, was enorm hilfreich ist, wenn ein Ausländer die Sprache erlernen will. Denn alle, die er hört, sprechen sie
richtig. Und dass man sie durchaus erlernen kann, beweisen die neuen Einwanderer - Deutsche, Rumänen, Israelis und Chinesen.
Ordnung herrscht auch in der Aussprache - mit kleinen Ausnahmen. So ist Ungarisch eine „phonetischere“ Sprache als etwa Deutsch. Sie legt offensichtlich Wert darauf, dass alles
weitgehend so hingeschrieben wird, wie man es ausspricht. Der Vorname Peter, auf ungarisch Péter, wird in beiden Sprachen (fast) gleich ausgesprochen, aber etwas anders
geschrieben. Ein ungarisches é klingt wie „Emil“, ein e wie „Emma“. Und das schreibt man auch hin. Auch Buchstabenkombinationen (ty, gy etc.) gibt es mit klar definierten
Ausspracheregeln, die immer gelten - außer bei Familiennamen. Eine kleine Bosheit Schulkindern gegenüber, die die Namen von Berühmtheiten, die meist nicht Hinz oder Kunz (Kovács
oder Kis) heißen, sondern Széchenyi oder Kossuth, schreiben lernen müssen.
Die Sprachmelodie erreicht sie durch passende hohe bzw. tiefe Endungen, die den hohen beziehungsweise tiefen Vokalen des Wortstamms angeglichen werden: So heißt édesem (sprich:
ehdeschem), „meine Süße“ und asztalom (sprich: astalom) mein Tisch (die Endungen -em und -om stehen für mein). Auch die Artikel, die keine Geschlechter bezeichnen, dienen der
gefälligen Melodie: a gehört vor ein Wort, das mit einem Konsonanten beginnt, az vor eines, das mit einem Vokal anfängt. Beispielsweise heißt „der Tisch“, az asztal, „der Stuhl“,
a szék. Das braucht man nicht zu lernen, das hört man. Romanisten erinnern sich dabei an die liaisons im Französischen. Der eigenwillige Sprachrhythmus entsteht durch die Betonung
der ersten Silbe. Und die scherzhaft-gewichtige Beschreibung des Phänomens lautet: Die „Betonierung“ liegt immer vorne.
Das R gehört gerollt, wie im Italienischen oder Spanischen. Es gibt Kinderverse, in denen besonders viele R vorkommen, um diese Kunst früh genug zu üben. Wenn ein einfacher Ungar
das nicht kann, hat er einen Sprachfehler. Wenn das ein vornehmer Mensch nicht kann, wie Otto von Habsburg, dann „ratscht“ er - ungarisch: raccsol, dafür gibt es ein Verb -, und
das ist etwas Feines - wie auf Italienisch auch.
Ungarisch benutzt viele übertragene Sprachbilder aus Landwirtschaft und Viehzucht, um etwas besonders plastisch zu beschreiben. So kann man sich, etwa auf einem Sofa, „lümmeln wie
eine Kuh“, ungarisch nur „kühen“, tehénkedni - tehén ist die Kuh. Und auch dafür gibt es ein Extraverb. Oder ein Sprachbild aus der Küche: Ein Gefängnisinsasse ist eine
„Knastfüllung“ (börtöntöltelék).
Einige ungarische Wörter haben es bis ins Deutsche geschafft. Der „Dolmetsch“, ungarisch tolmács, ein altes türkisch-ungarisches Wort, erlebte dabei eine abenteuerliche
Bedeutungsänderung. Das Wort bezeichnete ursprünglich den, „der mit der (Gänse-) Feder abschreibt“. „Die Feder“ ist toll, „abschreiben“ - másolni. Der Abschreiber also. Wie daraus
der „Übersetzer“ geworden ist, bleibt ein Geheimnis. Einfacher ist die Geschichte der „Kutsche“. Auf Ungarisch heißt „der Wagen“ eben kocsi (sprich: Kotschi) und besagt „aus
Kócs“, einem Ort in Nordwestungarn. Dort hat man zur Postkutschenzeit unter anderem die Federung für Reisewagen entdeckt. Solche bahnbrechende Erfindungen behalten oft ihren Namen
auch in fremden Sprachen.
Die Flüche - Hades der ungarischen Seele - sind teuflisch, sexistisch (aber nicht nur gegen Frauen) und rassistisch. Man wünscht dem anderen gern einen erigierten Pferdepenis in
den Hintern, wobei es ursprünglich (noch schlimmer) ein spitzer Holzpfahl gewesen sein mag. Verbreitet ist es auch, jemanden sinngemäß in den Schoß seiner Mutter zurück zu
schicken, wobei statt Schoß Vulva gesagt wird. Die Logik der Verwünschung ist klar: Er sollte besser gar nicht erst geboren worden sein.
Andererseits gibt es auch gewisse Entwicklungen zu gesitteten bürgerlichen Ausdrücken. So bedeutet das ungarische Wort ölelni oder átölelni schlicht „umarmen“. Jeder Ungar, bis
auf Sprachwissenschaftler, versteht es so, gebraucht es so. Dabei heißt öl eindeutig „Schoß“ - und sonst nichts. Das bedeutet: das Wort muss früher einen anderen Sinn gehabt
haben. Doch das wirklich Seltsame: Es gibt in der wortreichen ungarischen Sprache noch einen anderen, nämlich den richtigen Ausdruck für „umarmen“, nämlich átkarolni. Kar ist eben
der „Arm“. Doch dieses Verb für „umarmen“ gebraucht man kaum. Das andere, das ursprünglich nur „umschoßen“ bedeutet haben kann, ist wohl stärker. Und reizvoller.
Schließlich gibt es auch neue Wortübernahmen. Das neuungarische kurázsi kommt vom französischen courage, bedeutet aber im jungen, demokratischen Ungarn, „die bürgerlichen
Freiheiten mutig einfordern“ - eben das, was in der Demokratie möglich und wichtig ist.
Peter Meleghy
http://www.ungarnaktuell.de/Literatur.htm
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